4. Juni
Über Nacht hatte das Wetter umgeschlagen und es regnete in Strömen. Natürlich hatten wir die Wettervorhersage gesehen, die das prophezeit hatte, aber da das Wetter in den letzten Wochen eher besser war vorhergesagt, hatten wir nicht so recht dran geglaubt. Wir nutzten die Gelegenheit, um die administrativen Angelegenheiten aufzuarbeiten, die in den letzten beiden Wochen angefallen waren. Wenn man so lange unterwegs ist wie wir, dann muss man hin und wieder auch mal einen „Bürotag“ einlegen und dafür ist schlechtes Wetter ja gerade recht.
So gegen 15 Uhr hatte der Regen dann ein Einsehen und stellte seine Tätigkeit ein und wir zogen weiter die lettische Ostseeküste entlang. Wir kamen durch kleine Ortschaften, denen man ansieht, dass sie noch im Vorsaison-Schlaf sind, im Sommer aber bestimmt viel los ist. Die Störche waren wieder zahlreich und wir sind immer wieder aufs Neue erstaunt darüber, wie wenig sie sich von Mähdreschern, Traktoren oder Autos stören lassen. Teilweise wandern sie direkt an der Straße entlang, um im frisch gemähten Seitenstreifen nach Fressbarem zu suchen.
Thomas hatte im Internet gesurft und in Ainazi, dem letzten Ort in Lettland vor der Grenze zu Estland, ein hübsches Restaurant mit einer vielversprechenden Speisekarte gefunden und so suchten wir zunächst mal einen ruhigen Stellplatz, um uns schick zu machen und fuhren dann zum Abendessen. Das Restaurant gehörte zu einem Hotel, das direkt an der Hauptstraße lag und von außen zwar sehr gepflegt, aber unscheinbar wirkte. Daher waren wir über die schicke Einrichtung des Restaurants schon mal sehr angenehm überrascht und die Speisekarte, die wir im Internet angeschaut hatten, wurde voll bestätigt.
Ruth wählte ein Lachstatar mit Avocado als Vorspeise und bekam eine Riesen-Portion superfrischen Lachs.
Thomas hatte sich für gebratene Jakobsmuscheln entschieden, obwohl wir in der letzten Zeit öfters die Erfahrung gemacht hatten, dass die sogenannten Jakobsmuscheln in Wirklichkeit Kamm-Muscheln waren und nach nichts schmeckten. Seine Hoffnung, dass es hier anders sein könnte, wurde erfüllt, die Jakobsmuscheln waren köstlich und auch wieder eine richtig große Portion.
Zur Hauptspeise gab’s für Thomas gebratenen Zander
Und Ruth hatte für sich ein bei Niedrigtemperatur gegartes Spanferkel-Bein bestellt, das mit einer köstlichen Sauce und im Ofen gebratenem Wurzelgemüse serviert wurde
Der Zander war sehr gut gebraten und das Spanferkel-Fleisch war total zart und saftig und schmeckte himmlisch mit der Sauce. Dass die Teller-Dekoration genauso aussah wie bei der Vorspeise, irritierte nur ganz am Rande.
Leider waren die Portionen so groß gewesen, dass im Magen kein Platz mehr für ein Dessert war – wirklich schade! Sehr satt und sehr zufrieden kehrten wir zu unserem Stellplatz zurück und verbrachten eine weitere ruhige Nacht in unserem gemütlichen Wohnmobil.
Tatsächlich hätten wir nie damit gerechnet, dass wir im Wohnmobil so gut schlafen würden wie es jetzt schon die ganze Zeit der Fall war. Wir hatten uns zwar die von Hymer angebotenen Tellerfederroste bestellt, aber dass die Betten so bequem sein würden, hatten wir nicht gedacht.
Schon toll, dieses vereinte Europa! Jetzt fuhren wir bereits über die vierte Grenze ohne jegliche Kontrollen, aber natürlich änderte sich die Sprache und wir durften uns auch wieder an neue Verkehrszeichen gewöhnen, aber das kennen wir ja jetzt schon.
Ruth hatte im Führer gelesen, dass in der Nähe ein großes Naturschutzgebiet mit einem Hochmoor liegt, in dem es schöne Wanderwegen gibt, das wollten wir uns ansehen. Also bogen wir von der Küstenstraße ab zum Soomaa Nationalpark. Schon die Fahrt dorthin war ein Erlebnis, denn die Landschaft wurde immer einsamer und irgendwann endete dann auch der Asphalt und wir fuhren auf einer geschotterten Lehmstraße weiter, die bei Regen wahrscheinlich nicht so lustig zu befahren ist. Aber es war ja bestes Wetter und so fuhren wir weiter, bis die Schotterpiste an einem kleinen Parkplatz endete. Dort begann der Ingatsi Nature Trail, auf dem wir wandern wollten,
Der Pfad begann wie auf der Tafel beschrieben als Holzbohlenweg durch einen Feuchtwald.
Der Wald wurde bewusst sich selbst überlassen und es ist streng verboten, den Bohlenweg zu verlassen, damit die Wildnis nicht beschädigt wird. Und es ist vermutlich auch nicht empfehlenswert, denn der Boden sah sehr feucht aus.
Nach einigem Fußmarsch endet der Holzbohlenweg an einer Treppe, die es hochzusteigen gilt, um auf das Kuresoo Hochmoor zu kommen. Das hatten wir uns nicht vorstellen können, aber es ist tatsächlich so. Im Lauf von zehntausenden von Jahren war das Moor allmählich in die Höhe gewachsen und liegt heute zwischen 6 und 8 Meter höher als der umliegende Wald.
Oben führt der Holzbohlenweg weiter und nach wenigen Schritten ist man an einem Aussichtsturm, der eine gute Übersicht über das Moor bietet.
Der Holzbohlenweg führt uns weiter übers Moor und wir kommen nach einiger Zeit zu den angekündigten Wasserlöchern
Einige der Wasserlöcher sind so tief, dass man tatsächlich darin schwimmen kann und die Nationalpark-Verwaltung hat extra Einstiegstellen eingerichtet, um es zu ermöglichen. Es heißt, ein Bad in diesen Moorseen sei außerordentlich gesund, aber wir bibberten schon beim bloßen Gedanken daran, selbst Ruth, die sonst keine Gelegenheit auslässt, wenigstens die Wassertemperatur zu testen, machte keine Anstalten.
Für den Weg zum Wohnmobil zurück wählten wir nicht einfach denselben Holzbohlenweg wie auf dem Herweg, sondern die Umleitung durch den Wald und das lohnte sich. Dieser Pfad ist kein Holzbohlenweg, sondern man läuft auf einem federnden Waldboden, der bei jedem Schritt ein bisschen schwingt – fühlte sich toll an.
Die auf der Infotafel angekündigten Tiere ließen sich natürlich nicht blicken, aber wir sahen viele verschiedene Libellenarten, manchen mit schillernden transparenten Flügeln, andere mit schwarzen, aber alle mit schönen farbigen Körpern. Leider sind sie so schnell, dass wir sie trotz vieler Versuche nicht auf’s Foto bekamen. Zurück im Wohnmobil überlegten wir einen Augenblick, ob wir noch länger im Nationalpark bleiben und vielleicht eine Kanutour machen wollten, aber es war uns einfach immer noch zu kalt dafür. Also fuhren wir weiter in Richtung Pärnu, dem größten Seebad an der estnischen Küste.
Nach unserem Besuch in Palanga, dem „Saint Tropez“ von Litauen, waren unsere Erwartungen an das estnische Seebad natürlich hoch. Pärnu präsentierte sich ganz anders, als einen Mix aus traditionellen estnischen Holzhäusern, manche schön renoviert und mit netten Shops oder Kneipen im Erdgeschoss, andere wiederum vom Zahn der Zeit gezeichnet, und hochmodernen Einkaufszentren. Überhaupt scheint Shopping die Hauptbeschäftigung der vielen Urlauber zu sein, die in Pärnu ihre Sommer verbringen, denn es gibt einfach unglaublich viele Geschäfte. Allerdings nicht nur in den Einkaufszentren, sondern auch in der Fußgängerzone, wo sich noch Fachgeschäfte finden, die bei uns schon längst vom Erdboden verschwunden sind.
So fand sich ein winziger Laden ganz am Ende der Fußgängerzone, in dem eine Uhrmacherin werkelte und Thomas‘ Uhr, die mittlerweile 15 Minuten pro Tag nachging, wieder instand setzte. Sie stellte fest, dass nicht nur eine neue Batterie nötig, sondern dass auch irgendwas innen drin gebrochen war, für dessen Reparatur sie etwas längere Zeit benötigen würde, sie bat uns also, in zwei Stunden wieder zu kommen (wir hatten schon gedacht, sie würde uns auf den nächsten Tag vertrösten).
Also vertrieben wir uns die Zeit damit, die Fußgängerzone hinaus und hinunter zu trödeln, eine tolle Lachssuppe und eine nicht minder gute Tomatensuppe zum Mittagessen zu nehmen und zum Strand zu fahren, um den wenigstens einmal gesehen zu haben. Er war tatsächlich sehr schön und erinnerte auch in seinen Ausmaßen an den Strand in Palanga – nur dass es keine Seebrücke gab, aber dafür eine ganze Menge Bespaßungs-Anlagen, die in den Sommerferien bestimmt viel Anklang finden.
Auch hier ist der Sand unglaublich fein und weich – allerdings ist er dadurch auch sehr leicht und wird durch den stetigen Wind durch die halbe Stadt geblasen.
Was uns auf dem Campingplatz in Pärnu besonders auffiel war die große Anzahl von finnischen Wohnmobilen und Wohnwagen, die dort standen, gefühlt 95 % der Urlauber auf dem Campingplatz waren Finnen. Auch unser Nachbar war Finne und Ruth fragte ihn, ob er den Grund dafür kenne, dass sich hier so viele Finnen treffen, aber er war eher finnisch wortkarg und antwortete: „I don’t know, it’s a nice place, we always come here“. Also kommt er zwar regelmäßig hierher, weiß aber eigentlich nicht, warum. Und wirklich toll ist der Platz wahrhaftig nicht, er liegt im Industriehafen, hat weder eine gute Aussicht noch schöne Sanitäranlagen, und die Wohnmobile stehen sehr eng nebeneinander – aber vielleicht finden die Finnen ja gerade das gut.
7. Juni
Nach zwei Tagen in Pärnu fanden wir, dass es genügt und fuhren weiter nach Tallinn. Wir wollten noch einmal die Stadt sehen, die wir schon mal bei einer Kreuzfahrt besucht hatten, und die uns so gut gefallen hatte. Mittlerweile hatten wir auch die Fähre nach Helsinki auf den 9. Juni gebucht, weil man ja immer hört, dass die Plätze auf den Fähren schnell ausgebucht sein könnten. Das scheint allerdings noch nicht für Anfang Juni zu gelten, denn wir bekamen unsere gewünschten Plätze ganz problemlos.
Tallinn präsentierte sich uns immer noch so hübsch wie beim ersten Besuch, mit einem Unterschied: Damals waren wir mit einem Kreuzfahrtschiff da, das direkt im Hafen angelegt wurde und wir daher einfach zu Fuß vom Schiff in die Stadt gehen konnten, wir brauchten keinen Parkplatz. Jetzt brauchten wir einen – und in Tallinn zu parken kann richtig ins Geld gehen, so düsten wir eine Weile durch die Stadt, bevor wir einen guten und vor allem kostenlosen Parkplatz bei einem riesigen Einkaufszentrum fanden.
Der zudem noch in Gehweite des Restaurants lag, bei dem Thomas einen Tisch für den Abend reserviert hatte. Also machten wir uns im Wohnmobil fein und marschierten zehn Minuten durch die Wohngegend, in der das Restaurant in einem alten, typisch estnischen Holzhaus untergebracht ist.
Das Restaurant ist im Guide Michelin mit einem „Bib“ ausgezeichnet, der so eine Art Vorstufe für einen Stern darstellt und für besonders gute Küche steht. Es sieht schon von außen schön aus und innen ist es sehr hübsch eingerichtet
Wir entschieden uns nach kurzer Diskussion, das fünfgängige Degustationsmenu zu nehmen, für das der Chef die Gänge auswählt, und haben es nicht bereut, es war wirklich ausgezeichnet.
Natürlich war das Menu fischbetont, es gab als Vorspeise marinierte Atlantik-Makrele auf Avocado mit Haselnüssen und Pfefferminze, danach ein Arancini (ein Reis-Knödel) aus Trüffel-Risottoreis mit einer Füllung aus gerauchtem Entenfleisch, danach kleine Teigtäschchen aus einem ausgezeichneten Nudelteig mit Garnelenfüllung und einer köstlichen Muschelsauce und als Hauptgang ein sehr gut gebratenes Flanksteak mit Morcheln und kleinen gebratenen Kartöffelchen. Als Nachtisch brachte man uns eine in Rum (sehr lange) marinierte Ananasscheibe mit einem Zitronenverbene-Eis und einem cremigen Schafsjoghurt. Alles seeeeehr lecker!
Danach waren wir sehr froh über den Verdauungsspaziergang, um ein paar Straßen weiter wieder ins Wohnmobil zu steigen. Jetzt war die Suche nach einem Übernachtungsplatz angesagt, aber wir hatten uns schon bei der Parkplatz-Suche am Nachmittag ein Plätzchen vor dem historischen Museum ausgeguckt, das oberhalb der Strandpromenade von Tallinn liegt, die zwar direkt an der Bucht von Tallinn entlang führt, allerdings von einer 6-spurigen Ausfallstraße begleitet wird, auf der die Tallinner Jugend am Abend ihre hochgetunten PS-Monster ausführt.
Welche Menge an AMG Mercedes, großen Audi, Porsche und sonstigen Sportwagen wir hier sahen, war wirklich unglaublich. Und in den meisten Fahrzeugen saßen Fahrer und Beifahrer*innen, die keinesfalls älter als 30 Jahre sein konnten. Es schien eine beliebte Abendbeschäftigung zu sein, mit hochmotorisierten Fahrzeugen durch die Stadt zu fahren und beim Anfahren heftigst Gas zu geben, um den Motor heulen zu lassen und möglichst viele Fehlzündungen zu erzeugen. Das war uns auch schon in anderen größeren Städten auf unserer Reise begegnet, als erstes in Stettin, wo es so laut zugegangen war, dass wir die Flucht ergriffen – mittlerweile hatten wir uns dran gewöhnt.
Vor dem Einschlafen hörten wir noch einige dieser Boulevard-Cruiser, aber wir waren so müde, dass wir nicht viel davon mitbekamen und selig einschliefen.
8. Juni
Wir entschieden uns am nächsten Morgen, als erstes auf der Strandpromenade Laufen zu gehen, aber ein dringendes menschliches Bedürfnis jagte uns erst mal ins historische Museum, genauer gesagt die dortigen Sanitäranlagen. Das war auch gut so, denn das Museum liegt in einem sehr schön angelegten Park, durch den wir nach Befriedigung unseres Bedürfnisses joggten, um anschließend auf die Strandpromenade hinunter und diese noch ein Stück entlang zu laufen. Wieder hatten wir wunderbares Sonnenwetter und allmählich war es auch warm genug, um in kurzer Hose und T-Shirt zu laufen. Fühlte sich schon fast an wie ein Sommermorgen!
Nach dem Frühstück im Wohnmobil machten wir uns auf die Suche nach einer Gas-Tankstelle, die es angeblich in Tallinn geben sollte uns siehe da, wir wurden tatsächlich fündig. An der angegebenen Adresse kam sofort ein freundlicher Herr aus der Tankstelle und winkte uns zu einem großen Gastank – er wusste offensichtlich sofort, was wir suchten. Wir zeigten ihm unsere Gasflaschen und er nickte, ja, die könnte er befüllen. Schnell waren die Gasflaschen ausgebaut und ebenso schnell hatte er einen Adapter angeschlossen, seinen Zapfhahn angesteckt und Gas eingefüllt, es war nur eine Sache von Minuten. Super, nun waren wir gastechnisch bestens gerüstet für Finnland.
Sehr zufrieden ging es wieder auf Parkplatz-Suche, um die Altstadt zu besuchen. Aber wir hatten auf unserer Such-Tour am Vortag einen Parkplatz ausfindig gemacht, der nahe an der Stadtmauer und trotzdem einigermaßen günstig zu sein schien und fuhren dorthin. Jetzt hatten wir das erste Mal wirklich Sprachprobleme, denn der Parkplatz sollte per App bezahlt werden und die Anleitung war natürlich nur auf estnisch. Der Google Übersetzer funktionierte zwar prima, nur die Anleitung nicht, unter der angegebenen Nummer, an die man eine SMS schicken sollte, kam immer nur „nicht zustellbar“ zurück. Also entschlossen wir uns, das Risiko einzugehen, das Wohnmobil trotzdem dort stehen zu lassen und bummeln zu gehen.
Als erstes mussten wir die dicke Margarete besuchen gehen, die wir schon von unserem ersten Besuch her kannten. Das ist ein seeeehr dicker Turm, der die Stadtmauer in Richtung Hafen bewacht.
Man sieht der dicken Margarete an, dass sie den einen oder anderen Angriff ausgehalten hat. Heute allerdings kann man einfach durch’s Tor fahren oder laufen, keiner hat mehr etwas dagegen, dass Fremde in die Stadt kommen.
Und hier waren sie wieder, die typischen hohen Kaufmannshäuser mit dem Lastenaufzug unterm Dach, die die kopfsteingepflasterten Straßen säumten. Der Altstadt von Tallinn sieht man ihre Hanse-Vergangenheit deutlich an – oder wir haben durch unsere Reise inzwischen ein gutes Auge dafür.
Der Straßenbelag, über den man in der gesamten Altstadt läuft, ist ein richtigen Katzenkopf-Pflaster und ziemlich anstrengend, man muss aufpassen, wohin man tritt. Trotzdem begegnet einem – wie auf dem obigen Bild – immer wieder ein auf diesem Pflaster fahrender oder geparkter Sportwagen, na viel Spaß für’s Fahrwerk!
Der Marktplatz von Tallinn
Und das alte Hanse-Haus, in dem sich die Kaufleute trafen und das heute noch die Flaggen mit den Namen der Hanse-Städte trägt, mit denen die Kaufleute aus Tallinn Handel betrieben.
Die Stadtmauer der Altstadt mit ihren vielen Türmen ist noch weitgehend vorhanden und intakt und in die heutige Nutzung der Altstadt integriert.
Aber neben der Altstadt gibt es auch ein quirliges modernes Tallinn mit vielen Bürogebäuden und auf der Fahrt durch diese Gegend stießen wir auf die neue Markthalle von Tallinn, die in einer alten Industriehalle angesiedelt worden war.
Am Abend wollten wir uns so platzieren, dass wir am nächsten Morgen nicht weit zur Fähre hätten, denn wir hatten die 7:30 Uhr-Fähre gebucht und mussten spätestens um 6:30 Uhr am Terminal einchecken. Wir fanden einen Parkplatz, der gerade gegenüber der Zufahrt vom Terminal lag und konnten uns von dort aus auch nochmal den schönen Tallinner Sonnenuntergang anschauen.
9. Juni
Wir hatten den Wecker auf 5:50 Uhr gestellt, um rechtzeitig aufstehen zu können, aber natürlich waren wir vor lauter Aufregung schon vorher wach denn heute sollte es auf die Fähre gehen! Pünktlich um 6:15 Uhr fuhren wir durch den Check-in und wurden sekundenschnell in die Reihe 7 eingeordnet. Wir hatten bei der Buchung die Daten unseres Wohnmobils – Länge, Breite und Höhe – angegeben und das Computersystem des Terminals hatte offensichtlich bei der Einfahrt in den Check-in das Nummernschild gelesen, die von uns eingegebenen Daten gefunden und dem Fahrzeug die entsprechende Reihe zugeordnet – skandinavische Effizienz, die uns immer wieder in Erstaunen versetzt. Nur noch unsere Personalausweise und Führerschein wurden kontrolliert, damit nicht nur das Fahrzeug eindeutig identifiziert ist, sondern auch die Passagiere.
Unser Düse in Warteposition
Nach kurzer Wartezeit konnten wir sehen, wie LKW und PKW die Fähre verließen und dann ging es auch schon los auf die Rampe zum Obergeschoss der Fähre.
Das Einparken verlief genauso reibungslos und effizient wie schon der Check-in, wir wurden in die entsprechende Reihe gewinkt und fuhren so weit zum Vorder-Fahrzeug vor, wie wir es selbst für richtig hielten. Kein großes Geschrei und Gefuchtel vom Personal, wie wir es auf anderen Fähren schon erlebt haben, alles ging gelassen und reibungslos.
Nachdem wir unsere Siebensachen zusammengesammelt hatten, ausgestiegen waren und das Wohnmobil abgeschlossen hatten, fiel uns auf, dass alles noch ziemlich neu aussah, noch keine Schrammen an den Wänden und alles sehr sauber. Später fanden wir heraus, dass die Fähre erst im Dezember 2022 in Dienst gestellt worden war, das bestätigte sich dann auch im Passagierbereich, der alles übertraf, was wir bisher an Fähren kennengelernt hatten.
Nette Cafés und schöne Lounges mit viel Aussicht nach draußen und viele Möglichkeiten, sich mit Snacks und Getränken zu versorgen, darunter auch der unvermeidliche Burger-Laden.
Nachdem wir abgelegt hatten, wurde Thomas ziemlich schnell unruhig, weil er beim kurzen Durchgang den Eindruck gewonnen hatte, dass der Duty-Free-Shop ziemlich groß war. Also gingen wir nachschauen und was wir vorfanden, konnten wir kaum glauben. Der Shop nahm einen großen Teil des Passagierbereichs ein und war sogar zweistöckig! Von Kosmetik und Parfums über Klamotten und Souvenirs zu einem riesigen Alkohol-Angebot und einem unglaublichen Angebot an Süßwaren.
Die Preise waren allerdings wenig ansprechend, Ruth fand ihre Kosmetik, die viel teurer war als in Deutschland und eine 1-Liter-Flasche Campari sollte 30 Euro kosten, das war nun wirklich nicht das, was wir von einem Duty-Free-Laden erwartet hatten. Also gab es einen Magnet für die Kühlschranktür und ein paar Elch-Socken für Thomas, die wiederum erstaunlich günstig waren.
Noch schnell das Sonnendeck der Fähre erforscht und schon waren wir wieder in Landnähe und kehrten zum Wohnmobil zurück, um in den Helsinki Hafen rauszufahren. Hurra, wir waren in Finnland!
Wir kannten Helsinki ja schon von einem Besuch per Kreuzfahrtschiff, aber das hatte natürlich nicht im Fährterminal angelegt, so dass die Fahrt aus dem Hafen neu für uns war, und kaum waren wir um ein paar Ecken gefahren, waren wir schon im Bereich der Markthalle und dem Hafenbecken, in dem die ganzen Sightseeing-Boote ankern. Wir parkten seitlich auf dem Marktplatz, fast direkt vor dem Präsidentenpalast, und studierten erst mal den Stadtplan, um die Route zum örtlichen Campingplatz Rastila zu finden.
Der liegt 12 km außerhalb des Zentrums, die Fahrt dorthin führt über eine Art Stadtautobahn, so dass wir ziemlich schnell dort waren. Vor uns standen schon 4 Wohnmobile in der Warteschleife und Thomas machte sich auf um herauszufinden, ob sie noch einen Platz für uns hätten. Der Campingplatz ist riesig, aber er war ausreserviert, sie boten uns aber an, für 44 Euro die Nacht auf einem abseitigen Sandplatz zu campieren, der eigentlich nicht für Wohnmobile gedacht ist. Das wollten wir nicht und beschlossen, einfach einen Platz zu suchen, an dem wir frei stehen könnten. Unsere Vermutung war, dass wir in der Gegend der Helsinki Marina eine Möglichkeit finden würden.
Tatsächlich fanden wir bei der Fahrt dorthin schon kurz nach der Markthalle erst mal einen guten Parkplatz, einfach direkt am Straßenrand, und auch einen funktionierenden Bezahlautomaten, so dass wir guten Gewissens unser Wohnmobil stehen lassen und einen Bummel durch Helsinki machen konnten.
Natürlich war unser erstes Ziel die alte Markthalle, die allerdings heute eher als Kneipenhalle fungiert, denn es gibt zahlreiche Imbiss-Stände mit allen erdenklichen finnischen Fressalien.
Wir waren schon ziemlich hungrig, weil das Frühstück heute sehr früh und etwas frugal ausgefallen war und eroberten daher zwei riesige Lachs-Sandwiches, die wir direkt am Stand verschlangen. So gestärkt machten wir uns auf, um Helsinki aufs Neue zu erforschen, speziell die orthodoxe Kirche, die wir beim ersten Besuch ausgelassen hatten.
Wir wählten allerdings nicht den direkten Weg dorthin, sondern gingen erst mal in Richtung des Doms, wo wir auf dem davorliegenden Platz eine große Gruppe in weißen Uniformen und mit Blasinstrumenten und Trommeln stehen sahen.
Auf unsere Frage, ob die Band demnächst spielen würde, bekamen wir die Auskunft, dass sie nicht nur spielen, sondern auch marschieren würden – das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Also setzten wir uns auf die große Treppe vor dem Dom und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Und wir wurden nicht enttäuscht.
Zunächst formierte sich die Band, dann marschierten sie über den Platz, stellten sich seitlich vor uns auf und begannen zu spielen
Nach mehreren Musikstücken hielt der voranschreitende Offizier (im obigen Bild ganz links) eine Rede, aus der wir erfuhren, dass dieses „Konzert“ ein Teil des Zeremoniells für den täglichen Wachwechsel darstellt und die Band jetzt zum Präsidentenpalast marschieren würde, um diesen zu vollziehen.
Wir kannten den Weg dorthin schon und folgten deswegen nicht der Band, sondern kürzten ab und waren schon vor ihnen dort, so dass wir sie auf ihrem Weg am alten Hafen entlang fotografieren konnten.
Was uns begeisterte war der Umstand, dass sie einfach durch den laufenden Verkehr marschieren – der wird zwar durch Polizisten auf Motorrädern und Pferden kurz angehalten, aber es gibt keine Absperrungen oder dergleichen, man könnte theoretisch direkt neben ihnen herlaufen. Der Wachwechsel selbst ist dann lang nicht so spektakulär wie Change of the Guards in London, denn es wird nur ein einziger Wachsoldat abgelöst, aber immerhin
Die ist von außen wirklich eindrucksvoll und auch innen prächtig geschmückt, beeindruckte uns aber nicht so sehr wie die orthodoxe Kirche in Riga mit ihren vielen Ikonen.
Da das Wetter wirklich gut und die Luft schon fast warm war, bekamen wir Lust auf eine Rundfahrt mit dem Sightseeing Boot und es lohnte sich wirklich. Wir bekamen einen kleinen Vorgeschmack auf die Schären vor der Südküste von Finnland, die wir noch besuchen wollten
Nach netten 1,5 Stunden auf dem Wasser rund um Helsinki machten wir uns endgültig auf die Suche nach einem guten Stellplatz für die Nacht und fanden den auch – wie vermutet – oberhalb einer kleinen Marina direkt an der Straße, die in Richtung des Kreuzfahrtterminals von Helsinki verläuft. Auf der einen Seite der Straße die Strandpromenade und dahinter die Marina, auf der anderen Seite eine große Parkfläche mit Bäumen, auf denen die Menschen Ball spielten, picknickten oder einfach in der Sonne lagen. Sehr nett.
10. Juni
Die Nacht war nicht so ruhig gewesen, wie wir gehofft hatten, weil auch hier in Helsinki die Jugend für hochmotorisierte Autos schwärmt und diese entlang der Marina möglichst lautstark ausführte. Aber auch das endete irgendwann und wir waren so müde, dass wir trotzdem gut schlafen konnten.
Am Morgen war ein Lauf auf der Strandpromenade fällig, zuerst entlang der Marina und dann zum Kreuzfahrtterminal. Auf dem Weg sahen wir zwei öffentliche Badestellen, an denen man direkt ins Meer steigen konnte und die schon zu dieser morgendlichen Stunde von einigen Hartgesottenen genutzt wurden. Man konnte ihnen ansehen, dass es kalt war, so dass wir erst gar nicht auf die Idee kamen, es selbst auch zu probieren.
Beim anschließenden Frühstück beratschlagten wir, wohin es weitergehen sollte und beschlossen, in Richtung Turku zu fahren, der alten Hauptstadt von Finnland. Es war uns vorher nicht so bewusst gewesen, dass Helsinki noch gar nicht so lange die Hauptstadt ist, sondern erst durch die russischen Besatzer dazu gemacht wurde, denen Turku zu nahe an Schweden lag und die deswegen lieber eine Hauptstadt haben wollten, die näher zu Russland lag. Auch nach der Unabhängigkeit von Finnland im Jahr 1917 blieb Helsinki die Hauptstadt und Turku verfiel ein bisschen in einen Dornröschenschlaf, aus dem es allerdings in letzter Zeit wieder aufgewacht ist, wie wir später feststellen konnten.
Wir fuhren allerdings nicht ganz so weit, sondern machten Halt in Tammisaari, auf schwedisch Ekenäs. Überhaupt ist an der Südküste alles zweisprachig, sämtliche Ortsnamen, Straßenschilder und sonstigen Beschriftungen sind auf finnisch und schwedisch und in vielen Orten an der Südküste gibt es zwei Amtssprachen.
Wir fanden einen netten Campingplatz am Meer und ergatterten noch einen guten Stellplatz in der zweiten Reihe, von dem wir eine sehr hübsche Sicht auf’s Wasser hatten.
38 Euro die Nacht für Wohnmobil, 2 Personen und Strom ist zwar nicht von schlechten Eltern, aber das war’s uns wert. Vor allem weil der Campingplatz Waschmaschine und Trockner hatte, die wir intensiv nutzten, denn in den vergangenen 2 Wochen hatte sich allerlei angesammelt.
Am Abend machten wir einen netten Bummel über den Campingplatz, der sich als ziemlich groß herausstellte. Der Teil für die Wohnmobile, der direkt hinter dem Rezeptionsgebäude lag, war offensichtlich ziemlich neu, während der viel größere Teil für Wohnwagen und Zelte, der weiter hinten lag, wohl schon deutlich älter war, wie man an den großen Bäumen sehen konnte, die natürlich im Sommer wunderbaren Schatten spendeten. Im Moment wollten wir den noch gar nicht haben, weil es noch nicht so warm war, dass man Sehnsucht nach Schatten bekommen konnte.
Überhaupt waren wir über unseren Stellplatz sehr glücklich, denn die sanitären Anlagen, die im Rezeptionsgebäude wohl ganz neu eingerichtet worden waren, waren der Hammer. So schöne, große und gut ausgestattete Duschen hatten wir auf einem Campingplatz noch nie gesehen und nutzten sie natürlich ausgiebig.